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Warum die Reichsbürger Putin verehren – Ein Erklärungsversuch

Mal keine Satire, vielleicht eine Diskussionsgrundlage

Man mag den Überblick verlieren – die Umwälzungen in der Ukraine sind für den “durchschnittlichen” Westeuropäer äußerst schwer zu durchschauen. Ich nehme mich nicht aus. Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland die allermeisten Menschen bis vor kurzer Zeit dieses Land überhaupt nicht wahrgenommen haben, wahrscheinlich nur eine äußerst grobe Vorstellung hatten wo dieser Staat überhaupt liegt, ist es sehr erstaunlich welch geballtes Wissen zur Situation einem derzeit aus den Leserkommentarspalten der Mainstreammedien entgegenschlägt. Natürlich wird auch in den sozialen Medien heftig diskutiert. Erwartungsgemäß positionieren sich die Teilnehmer aus der Reichsbürgerecke auf Putins Seite. Eifrig verteilen sie jede russische Propagandahoax. Wenn es an Nachschub fehlt, erfinden sie selbst Nachrichten, die einen alsbaldigen Kriegsausbruch zwischen der NATO und Russland herbeifabulieren. Sie zeigen empört auf die faschistischen Kräfte, die im ukrainischen Chaos eine unrühmliche Rolle einnehmen. Mit deutschen Neonazis hingegen haben sie keine Probleme. Sie unterstützen und verbreiten deren Gedankengut und verbünden sich in Onlinediskussionen mit der braunen Vorhut. Ein Teil der Reichsbürger ist ohnehin dem rechtsextremen Milieu zuzuordnen.

Eine Kämpfernatur

Immer wieder gibt es Erklärungsversuche, warum die Reichsbügerszene so hohe Erwartungen in Wladimir Putin setzt. Dem ehemaligen Kommunisten und Sowjet-Geheimdienst-Offizier kann wahrlich nicht unterstellt werden, dass er eine Vorliebe für reichsdeutsche Bismarck-, Kaiser- oder Hitlerverehrer pflegt. Woran liegt es also? Der autoritäre Kurs Putins, seine Führereigenschaften üben unstrittig einen besonderen Magnetismus auf Diktatorenverehrer aus. Ein Mann sagt wo es lang geht und alles wird gut. Die Untertänigen fühlen sich beschützt und geborgen. Eigenverantwortung ist nicht ihre Stärke. Für die Leitwölfe ist er das Vorbild, das dem Westen die Stirn bietet. Weitere Anziehungskraft entfaltet er durch seine Ablehnug für alle, die von der spießbürgerlichen Norm abweichen. Bekannterweise bereiten ihm Homosexuelle oder junge Damen, die ein bisschen exaltiert auftreten, Unbehagen. Gegen erstere erlässt er diskriminierende Gesetze, zweitere lässt er bei passender Gelegenheit ins Gefängnis stecken. Alles was fremd und ungewohnt erscheint, ist abscheulich und stört. Das empfinden die Reichsdeutschen auch so. Kurz – in Putins Reich herrscht Zucht und Ordnung.

Im Zuge der Krimkrise zeigt sich ein weiterer Wesenszug Putins, der den revanchistischen Reichsdeutschen gar zu gut gefällt. Putin holt sich das Land, welches Russland 1954 abhandengekommen ist, in einem Handstreich zurück. Ein Traum! Was für ein Held, was für ein Kerl!

So einen Anführer hätten sie gern. Sie wünschen sich nichts sehnlicher, als dass das Deutsche Reich in den Grenzen von 1914 wiederersteht. Putin macht es vor. Auch Deutschland hatte, als es noch Deutsches Reich hieß, einen Führer, allerdings mit Schnauzbart. Auch so einen harten Kerl. Er wollte nicht nur die alten Reichsgrenzen wieder herstellen. Er wollte noch die ganze Welt dazu. Wie es geendet hat, ist bekannt. Das Reich wurde weiter geschrumpft. Diese Tatsache, nur diese, nehmen sie dem Führer tatsächlich übel. Andere Dinge keineswegs. In zahlreichen Blogs und Kommentaren sind sie eifrig damit beschäftigt, immer wieder zu hinterfragen, ob die Judenvernichtung tatsächlich stattgefunden hat. Nahe gehen ihnen auch die Opfer der alliierten Bombenangriffe auf reichsdeutsche Städte und die Rheinwiesenlager. Ihre Schlussfolgerung: Den wahren Holocaust haben die Alliierten verübt, am reichsdeutschen Volk. Das deutsche Volk, woher sie die Weisheit hernehmen erschließt sich mir nicht, wird bis heute von äußeren Kräften gedemütigt. Daraus ziehen sie ihre irrwitzigen Schlüsse von der Nichtexistenz der Bundesrepublik Deutschland. So sehen Reichsbürger die Geschichte.
Nun heulen sie Krokodilstränen über den “vom Westen inszenierten Umsturz in der Ukraine” und jammern von den Nazis, die die ukrainische Bevölkerung terrorisieren. Was dort wirklich vorgeht, interessiert sie nicht wirklich.

Was würde in Europa geschehen, wenn eine wahnsinnige deutsche Regierung die Gebietsansprüche der Reichsdeutschen geltend machen würde?

Deutschland müsste Gebiete folgender Länder annektieren.

  • Frankreich: Besetzung von Elsass-Lothringen durch vermummte Selbstverteidigungskräfte. Schutz der deutschsprachigen Bevölkerung vor der rechtslastigen Front National. Im Anschluss Volksabstimmung über den Anschluss an das Deutsche Reich.
  • Belgien: Eupen-Malmedy, Schutz der Deutschen vor der rechtsextremen Vlaams Belang, ansonsten  dito.
  • Dänemark: Nord-Schleswig, Schutz der Deutschen vor der rechtspopulistischen Dansk Folkeparti, ansonsten dito.

Jetzt wird es komplizierter.

  • Polen: Es leben hier und da noch ein paar Nachkommen deutscher Familien aus der Zeit vor 1945.  Obwohl es auch in Polen nicht an Faschisten mangelt, zu behaupten: “Wir wollen die paar Hanseln retten” ist nicht sehr glaubwürdig. Also kurzer Prozess – Polen wird unter einem anderen Vorwand zurückerobert.
  • Litauen: Memelland, dito.
  • Tschechien: Hultschiner Ländchen, dito.

Und zum Schluss der dickste Brocken.

  • Russland: Das Königsberger Gebiet – Ostpreußen. Mit Putin verhandeln unmöglich. Das musste schon Rüdiger Klasen erfahren. Ein Angriff – nicht einfach, denn laut Axel Stoll verfügen die russischen Streitkräfte über modernste Waffentechnologie. Aber was soll’s? Auch Hitler hat die Russen reingelegt, einen Nichtangriffspakt geschlossen. Die Sowjets wunderten sich damals schon, dass plötzlich deutsche Tanks durch russische Birkenwäldchen rollten.

Wladimir Putin und vor allem dem russischen Volk ist zu wünschen, das die Gedankenspiele der Deutschen Reichsbürger niemals Realität werden.

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