Strafsache Dr. Model, Teil 2: Generalien und Verlesung der Anklage
Um 9:50 betreten die Geschworenen den Saal und kurz danach erscheint der Schwurgerichtshof, bestehend aus dem Vorsitzenden Richter und zwei Beisitzerinnen. Zum Glück weiss ich noch von früheren Verhandlungen, dass man in dieser Situation aufsteht, denn ich bin fast die einzige “Zuseherin”.
Der Vorsitzende Richter fackelt nicht lange. “Strafsache Dr. Model”, spricht er in sein Diktiergerät, von dem er noch ausgiebig Gebrauch machen wird. Er diktiert da seine Fragen, sofern er sie für besonders wichtig hält, mitsamt den Antworten von Model und allen Satzzeichen hinein (kann es wirklich sein, dass das Komma in Österreich “Beistrich” heisst?). Das Ganze sogar auch synchron, während Model sich äussert, und mit einer beeindruckenden Souveränität und Klarheit im Ausdruck.
Model wird aufgefordert, im Zeugenstand in der Mitte Platz zu nehmen.
Es folgt die Beeidigung von vier der acht Geschworenen, da die anderen vier schon bei früheren Prozessen beeidigt wurden (wieder so eine Situation, in der man aufstehen muss).
Der Vorsitzende Richter (nachfolgend VR) wendet sich nun an Model (nachfolgend M).
Eine kleine Anmerkung sei mir noch gegönnt: Obwohl die Umstände teilweise schwierig waren, da manche der Beteiligten relativ schnell und auch öfters durcheinander sprachen, habe ich die Verhandlung sehr genau aufgeschrieben. Das Meiste ist nahezu wörtlich oder ganz wörtlich (in letzterem Fall verwende ich Anführungszeichen). Das weniger Wörtliche setze ich in die indirekte Rede. Es lebe der Konjunktiv!
VR: “Sie sind Dr., gell?”
M: Ja.
VR: Ich habe von Ihnen so gut wie gar keine Daten.
Am 15.01.21 sei M in Liechtenstein beim Fürstlichen Landrichter Martin Jehle zum Fall einvernommen worden.
M: Er sei Dr. oec.
Bezüglich des Mangels an Daten weist M auf “kulturelle Unterschiede” zwischen der Schweiz und Österreich hin.
Eine der Beisitzerinnen weist M mittendrin relativ barsch zurecht, er solle seine Maske ordentlich tragen, das sei der Sinn der Maskenpflicht.
Für die beiden Beisitzerinnen habe ich in meinen Notizen keine unterschiedlichen Symbole definiert, daher nenne ich sie im Folgenden beide einfach B. Vielleicht schaffe ich es am zweiten Prozesstag, sie B1 und B2 zu nennen.
Der VR befragt M nun sehr detailliert zu seinem Werdegang und seiner Lebenssituation, und ich habe ebenso detailliert mitgeschrieben, kürze hier meinen Bericht aber auf das Wesentliche und klammere allzu Persönliches aus.
M gibt u.a. an, er habe drei erwachsene Kinder. Eine Tochter sei Juristin und arbeite als Anwältin in Zürich, “und sie sitzt in diesem Saal”.
Das habe ich mir ja fast gedacht…
VR: Fragt nach Ms Einkommen.
M: Keine Angabe.
Ms Wortkargheit in diesem Punkt kommt beim VR gar nicht gut an.
VR: Er (oder eher jemand von den österreichischen Strafverfolgungsbehörden, da sind meine Notizen ungenau) sei zweimal in Zürich gewesen und habe das überprüft. “Sie brauchen goar nix sogn, aber das Gericht wird Sie einschätzen”. Es folgt ein veritables Schweizer-Bashing, von dem ich nur das Ende überliefern kann: “Schweizer fahren wie die Schweine, das ist mein Bild von Schweizern”.
Der VR kann ja nicht wissen, dass Helvetia persönlich im Raum sitzt. Gedanklich erteile ich ihm den ersten Strike, den er allerdings im Laufe des Tages dadurch wettmachen wird, dass mir sein strategisch ausgefeilter, wenn auch ziemlich fieser Vernehmungsstil Respekt abnötigt.
Zu seinem Vermögen möchte M ebenfalls keine Angaben machen (wir Schweizer sprechen nun mal nicht gern über Geld), ausser der Bemerkung, dass er keine Schulden habe. Dass weder Ms Vermögen noch sein Einkommen als Pappschachtelfabrikant besonders gering sind, dürfte allen klar sein.
VR: Sie wissen, worum es geht, warum Sie hier sind?
Von M kommt keine Antwort.
Deshalb übernimmt nun die Staatsanwältin (StA) und verliest die Anklage.
StA: Es geht um das Verbrechen der staatsfeindlichen Verbindung, §246 StGB. M habe den ICCJV mit Geldmitteln “und auch sonst in erheblicher Weise” unterstützt. Der ICCJV sei eine seit 2014 in Österreich agierende staatsfeindliche Verbindung um Marcus Steiner. Deren Ziel sei Selbstjustiz, Opfer seien insbesondere Beamte, Richter, Anwälte. Gegen manche Amtsträger wie den damaligen Landeshauptmann Erwin Pröll habe der ICCJV “Haftbefehle” ausgestellt. Die Ereignisse in Hollenbach 2014 (im SSL auch als “Walknerhof-Debakel” bekannt) hätten den Verfassungsschutz “in allerhöchste Alarmbereitschaft” versetzt. Mit Messern bewaffnet hätten Marcus Steiner und andere damals eine Rechtsanwältin aufgesucht und sie in einen Bauernhof (eben den Walknerhof) verschleppen wollen, den sie als Tatort für ihren “Prozess” ausgesucht hätten.
An dieser Stelle nennt die StA auch die Mitgliederzahlen des ICCJV, in Österreich seien es 42 Mitglieder gewesen. Marcus Steiner habe eine Freiheitsstrafe ausgefasst. Nach seiner Entlassung 2017 habe es wieder erhöhte Aktivitäten des Fantasiegerichts gegeben. Die “Causa Hollenbach” zeige, dass diese staatsfeindliche Verbindung nicht zu verharmlosen sei.
M sei 2015 mit dem ICCJV in Kontakt gekommen, auch mit dem “Freeman” Joe Kreissl und mit Willibald Landschützer, einem hochrangigen ICCJV-Mitglied. Er habe mit dem ICCJV eine Vereinbarung abgeschlossen und ihm den Modelhof zur Verfügung gestellt. Diesen seltsamen Prunkbau im thurgauischen Bauerndorf Müllheim hat M als Sitz seines Fantasiestaates “Avalon” bauen lassen. Im Laufe der Verhandlung wird es noch ausführlich um den Modelhof und seinen Innenausbau gehen.
Vorgeworfen wird M zudem, er habe 2015 den “völkerrechtlichen Gründungsvertrag” des ICCJV und das sogenannte “Wiener Statut” unterschrieben. Ausserdem habe er ein Amt bem ICCJV innegehabt, nämlich “Friedensrichter”. Er habe an Veranstaltungen des Fantasiegerichts im Modelhof teilgenommen und Beschlüsse mit erlassen, etwa die Wahl des besagten Willibald Landschützer zum “General Chief Sheriff”. Letztmals habe M im Jahr 2017 an einer ICCJV-Veranstaltung teilgenommen. Den Modelhof habe er dem ICCJV und vier von dessen Scheinorganisationen unentgeltlich zur Verfügung gestellt, obwohl ein “Mietvertrag” bestanden habe.
Landschützer habe M überredet, dem ICCJV bzw. der Scheinorganisation ISA über eine Bank auf Zypern Geld zu spenden, und zwar 150000 Schweizer Franken. Die Transaktion sei für Marcus Steiner und Willibald Landschützer bestimmt gewesen, sei aber gescheitert und rückabgewickelt worden. Deshalb habe M später 5kg Gold an Landschützer übergeben. Dieser sei als Finanzverwalter des ICCJV dafür zuständig gewesen. Er habe das Gold für 184000 Euro verkauft und 165000 Euro bei der zypriotischen Bank anzulegen versucht. Den Rest habe er für sich behalten. Die Summe bei der Bank sei wegen Geldwäscheverdachts allerdings gesperrt worden.
Ab Oktober 2017 habe M dem ICCJV den Modelhof nicht mehr zur Verfügung gestellt. Nach Darstellung der StA habe Landschützer dem M aber noch eine “Teeküche” übereignet, um den bei M entstandenen “Imageschaden” auszugleichen (M wird später sagen, Landschützer habe dadurch vielmehr seine private Darlehensschuld tilgen wollen).
Noch 2018 habe es Kontakte zwischen M und Marcus Steiner sowie Willibald Landschützer gegeben. M habe gewusst, dass der ICCJV staatsfeindlich sei und dass er ihn erheblich unterstützt habe. Den Beweis habe das BVT (der Verfassungsschutz) durch Kontenöffnungen und Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern erbracht.
Bei seiner Einvernahme in Liechtenstein am 15.01.21 sei M bezüglich seines Amtes als “Friedensrichter” und bezüglich der Zurverfügungstellung des Modelhofes “tatsachengeständig” gewesen, behaupte aber, der ICCJV verfolge keine gesetzeswidrigen Zwecke und das Gold sei ein privates Darlehen an Landschützer gewesen, keineswegs eine Spende an den ICCJV.
Mit einer Vereinbarung zwischen ihm und Landschützer, die aber erst am 10.01.21 (fünf Tage vor Ms Vernehmung) entstanden sei, versuche M, seine Rolle zu bagatellisieren und den ICCJV als harmlos darzustellen. Es gebe aber genug Beweise, dass das Geld für den ICCJV bestimmt gewesen und Landschützer im Rahmen der Transaktion für den ICCJV aufgetreten sei. Es gebe eine Art Protokoll von Marcus Steiner dazu, wie die Überweisung lief, und eine Aufzeichnung von einem “High Council”-Treffen. Auch Landschützer habe 2018 gesagt, das Geld sei für den ICCJV und kein privates Darlehen.
Bereits 2006 habe M in der Schweiz einen eigenen “Staat” ausgerufen. Es gebe ein Interview, in dem er sich auf die “Causa Hollenbach” beziehe. M habe das “Wiener Statut”, eine Art “Verfassung”, mit unterzeichnet und daher gewusst, dass der ICCJV staatsfeindlich sei.